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Scham und Wut
Die Krawalle stimmen viele traurig. Berliner Griechen verfolgen mit Sorge die Krawalle in ihrer Heimat und wünschen sich Reformen.
Leicht geschockt blicken etwa 30 Griechen auf einen Großbildfernseher im Café „Griechen in Berlin“. Gerade flimmern die ersten Livebilder der Ausschreitungen in Athen über den Bildschirm. Das Café in der Kurfürstenstraße ist ein beliebter Treffpunkt für Griechen. Die Krawalle, die bisher drei Todesopfer forderten, stimmen viele hier traurig. Die meisten sind sich jedoch einig: „Es wird noch viel schlimmer.“
Wut auf die politisch Verantwortlichen in Griechenland, auf die Korruption und Desorganisation in den vergangenen Jahrzehnten haben die meisten Griechen in Berlin, mit denen man spricht. Die aktuellen Streiks und Demonstrationen jedoch sind unter ihnen höchst umstritten.
Kiriakos Fotiadis macht im Café an der Kurfürstenstraße gerade Pause. Er lebt seit 40 Jahren in Berlin. Dennoch hat er Verständnis für den Unmut seiner Landsleute. „Durch die Sparmaßnahmen kämpfen sie jetzt ums nackte Überleben.“ Es sei dem Volk nicht zu vermitteln, dass es sparen soll, während sich Politiker aus der Staatskasse bedient hätten. Die Proteste in Athen seien erst der Anfang.
Einer, der von den Sparmaßnahmen in Hellas direkt betroffen ist, sitzt am Nebentisch. Seinen Namen will er nicht nennen, weil er vom griechischen Staat bezahlt wird – bisher. Im Mai und Juni werde er für seinen Job als Lehrer für griechischstämmige Schüler an einer Tempelhofer Schule kein Gehalt bekommen. Die Proteste müssten sein, um die Politiker für ihre Misswirtschaft zu bestrafen. Ein Zwischenrufer ist sogar für Lynchjustiz. Trotzdem macht er sich Sorgen. „Meine Mutter ist allein in Griechenland.“
Sprachlehrer Vassilis Kontopoulos vom „Verein der Freunde der griechischen Kultur“ ärgerte sich hingegen gestern über die Demonstrationen. „Die Protestler machen es sich zu einfach, wenn sie alle Schuld auf ihre Regierung und die EU abschieben,“ meint der 47-Jährige, der seit 20 Jahren in Berlin wohnt. Stattdessen sollten seine Landsleute, die auf die Straße gehen, besser die Verantwortung für die Misere auch bei sich selbst suchen – und „Vorschläge machen, wie alles besser werden kann“.
Für jeden, der in den vergangenen Jahren genau hinschaute, sei doch klar gewesen, „dass die Griechen über ihre Verhältnisse gelebt haben und dies irgendwann schiefgehen muss“, sagt Constantin Cassambalis in seiner Taverne in der Nähe des Charlottenburger Savignyplatzes. Das „ständige Wegblicken“ habe nun ein Ende. Von vielen Gästen wird der 40-jährige Wirt gefragt, welche Therapie er seinem Heimatland verschreiben würde. In erster Linie, sagt er, „durchgreifende Reformen“. Alles müsse transparent sein und konsequent kontrolliert werden.
„Ich schäme mich für mein Land“, sagt Kunsthistorikerin Maria Danai aus Zehlendorf. Die Werte des antiken Hellas seien der Bestechlichkeit gewichen. Das habe man in den Ländern drumherum nicht wahrgenommen. „Aber nun, seit der Krise, hat die Verklärung Griechenlands einen Riss bekommen.“
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